Archiv der Kategorie: Gedanken

In dieser Kategorie landen alle Beiträge, in denen ich mich mit meiner jeweils aktuellen seelischen Befindlichkeit zwischen Zweifel (selbst & fremd), Zielen, Rückblicken und dem Sinn des Lebens ganz im Allgemeinen befasse. Es mag helfen oder nicht, mir hat es auf jeden Fall geholfen, es aufzuschreiben…

Freistehen oder Campingplatz?

Wer mit dem Wohnmobil unterwegs ist, muss sich vor dem Dunkelwerden darüber klar sein, wo man die Nacht verbringen will. Ob man frei steht, auf einem Campingplatz eincheckt oder auf einem Stellplatz unterkommt ist letzten Endes von vielen Faktoren abhängig.

Ein Faktor ist: Was bin ich für ein Campingtyp? Der die Freiheit liebende Abenteurer wird sich immer für einen Platz in der freien Natur entscheiden, der urbane Campertyp nimmt den Stellplatz und der überzeugte Camper halt den Campingplatz. Mischtypen nehmen es wie’s kommt oder sorgen für eine bunter Mischung, je nach Lage der Dinge oder der aktuellen Befindlichkeit.

Das soll jeder machen wie er mag. Wir haben auf unserer Reise etwa 50 % der Zeit frei gestanden. In Georgien oder Azerbaijan ging das gar nicht anders, auch in der Türkei ist die Campingplatzdichte nicht so, dass man da immer was adäquates findet.

Das “Wir stehen grundsätzlich frei!” ist eine Aussage, mit der ich nicht so gut klarkomme, auch wenn ich mit vielen dieser überzeugten Freisteher ein sehr gutes Verhältnis pflege. Mein Unbehagen hat soziale, ökonomische und ökologische Gründe und wirklich nichts persönliches.

Die Scharen von Overlandern, die in Marokko, im Iran oder Usbekistan einfallen sind dank ihrer Ausrüstung nicht auf die sich langsam in diesen Ländern aufbauende Infrastruktur angewiesen, und lassen demzufolge auch kein Geld dort. Das Lebensmodell verlangt Sparsamkeit, daher profitiert der lokale Tourismus “0” von diesen Reisenden. Mehr noch: Expeditionsfahrzeuge stehen oft an den schönsten und meist auch besonders geschützen Plätzen. Der Weg zu diesen Plätzen führt oft duch die Natur. Pflanzen werden zerstört, Tiere vertrieben, Boden verdichtet. Irgendwann muss Abwasser entworgt werden oder Müll. Und die ganze Nacht durch läuft die Dieselheizung. Ob da jetzt ein Verbotsschild steht oder nicht, tut mal nichts zur Sache. Dem überfahrenen Salamander ist das egal…

Noch regt sich in den Ländern entlang der Overland-Routen noch nicht wirklich jemand darüber auf, doch das wird kommen. Ich bin der Meinung, dass wir das Recht, die Natur und die Infrastrukturen dieser Länder kostenlos und ohne jedes Unrechtsbewusstsein und ohne jedes Entgelt zu nutzen, nicht haben und ich empfinde das teils sogar als modernen Kolonialismus, wenn wir die Armut in den besuchten Ländern ignorieren .

Ganz ohne Freistehen geht es nicht – dass ist auch mir klar. Wir stehen gern an Kirchen oder Klöstern, fragen aber immer vorher und sind damit bislang gut gefahren. Wenn ich das Abenteuer suche, dann fahre ich in den Washlowani-Nationalpark (Georgien) oder in den Shirwan-Park (Azerbaijan) – da muss und darf man übernachten und das ist dann “echte” Wildnis ohne Lidl an der nächsten Straßenkreuzung.

Aber zurück nach Europa, oder Deutschland: Wenn hier wer der Politesse ein Schnippchen schlägt und schläft, wo er nicht schlafen darf, dann geht das absolut in Ordnung. Aber Wohnmobile haben NICHTS in Naturschutzgebieten zu suchen und auch nichts im Wald, in Heidelandschaften oder verkehrsberuhigten Wohngebieten. In Ländern wie Frankreich oder Spanien ist Freistehen behördlich untersagt und es gibt auch keine Notwendigkeit aufgrund der hervorragenden Infrastruktur für Wohnmobile.

Ich will keinen Streit mit überzeugten Freistehern – aber ich möchte auch nicht alle Augen zudrücken und auch nicht zu allem schweigen. Wohnmobiltourismus hat nichts mit Umweltschutz oder dem Kampf für persönliche Freiheitsrechte zu tun, und schon mal gar nichts mit Globalisierung, Multikulti oder sonstwas…

Freistehen nimmt sich ein Recht heraus, das es nicht gibt. Das muss allen Freistehern klar sein. Begründungen dafür gibt es nicht – weder am Bodensee noch am Vansee.

Autofahren in Albanien

Autofahren in Albanien ist ein echtes Abenteuer. Zum einen entpuppen sich offizielle Durchgangsstraßen als Schotterpisten, zum andern gibt es außer den Tempolimits wohl kaum irgendeine Regel, an die sich die Albaner halten. Dabei geht es nicht immer nur dem Gesetz der Stärke. Man darf sich halt nicht unterkriegen lassen.

Wer einen Engpass sieht und nicht versucht, schnell noch durchzukommen, der steht da die nächsten drei Stunden, oder bis die Leute hinter einem aussteigen und die Situation auf die ein oder andere Art und Weise klären. “Mutig sein” hilft hier ungemein und wenn die Gegenseite erkennt, dass es kein Durchkommen gibt, dann bleiben die irgendwann stehen oder setzen notfalls auch mal zurück.

Schlaglöcher gibt’s hier ohne jede Vorankündigung, oft so groß, dass eine Ziege drin verschwinden könnte. Werden sie zu groß, dann wird einfach ein Reifen reingelegt.

Hupen gehört zu guten Ton und niemand, der einen anhupt hat etwas Böses im Sinn. Es soll wohl nur ermuntern, endlich das Träumen sein zu lassen und zügig weiterzufahren.

Mein Liebstes: Hier sind alle Kreisverkehre mindestens zweispurig. Wer also nicht sofort wieder rausfährt dreht sich in den Innenkreis. Vorfahrt hat dabei, wer die Nase vorn hat. Und das klappt.

Und dann die Autobahn: Die unterscheidet sich von anderen Straßen nur dadurch, dass man hier schneller fahren darf. Hier gibt es sogar Kreisverkehre, manchmal mit einer angebundenen Kuh drauf – keine Ahnung wie die da hinkommen konnte. Hier sind vom Eselskarren bis hin zum selbstgebauten Mofa-Transporter die unmöglichsten Gefährte unterwegs – und Fußgänger, z.B. wenn der Schulbus am Rand anhält.

In all diesem Chaos habe ich aber nicht das Gefühl, dass das Fahren hier wirklich gefährlich ist, weil hier jeder immer auf alles gefasst ist und sich auch nicht aufregt.

Das ist eine selbst in groberen Kartenwerken eingetragene Straße.


Aussteigen mit kleinen Kindern

Wir treffen auf unserer Reise immer wieder Familien mit kleinen Kindern. Ich mag hier kaum von Aussteigern reden, weil es für diese Altersgruppe – also junge Leute bis etwa 35 – noch nicht ums Aussteigen im eigentlichen Sinne geht, sondern vielfach um die Suche nach sinnstiftenden Elementen und alternativen Lebensformen. Vielleicht ist es auch ein vorbeugende Maßnahme, um nicht in den allgemeinen Trott zu verfallen.

Familie H. aus Holland ist da so ein typisches Beispiel. Die finanziert ihre Reise durch den Verkauf ihres Hauses, haben etwas für den Neustart beiseite gelegt und reisen nun mit zwei kleinen Kindern durch die Welt. “Es ist ein Geschenk” sagen sie – auch wenn die sehr anhänglichen Kinder gerade sehr viel Aufmerksamkeit fordern und auch die Wünsche der Eltern etwas einschränken. Vater Joris: “Die haben nun mal keinen Spaß an Offroadtouren durch die Sahara!”

Aussteigen mit kleinen Kindern ist sicherlich ein Knochenjob. Wir sehen das deutlich an einem Pärchen aus München. Der kleine Ben fängt gerade das Laufen an und ist zu 150 % auf die Mami fixiert. Allerdings: “Zuhause wäre das alles noch viel anstrengender!”

Und dann gibt es auch diese Väter und Mütter, die ihr Andersein auf eine etwas übertriebene Art zelebrieren. Wir haben selbst drei Kinder groß gezogen – da weiß man, dass der Sonnenschein, den man grad stolz im Tragegurt vor der Brust präsentiert, später auch mal ganz andere Seiten zeigen kann.

Es kann nicht immer alles super sein – das ist eine allgemeine Elternerfahrung, die natürlich auch auf Reisen gilt.

Der Vater des kleinen Ben ist auf jeden Fall fasziniert “…, dass es überhaupt möglich ist, und dass es so einfach ist, man muss es nur machen!” Arbeiten während der Reise ist aber meiner Meinung nach mit kleinen Kindern nicht zu schaffen, denn die ständig wechselnde Umgebung fordert Eltern tagtäglich und pausenlos zu 100 %.

So wie ich das sehe ist “Aussteigen mit kleinen Kindern” ein absolut machbares und auch erfüllendes Projekt. Sicher sehen wir hier nur Momentaufnahmen und wissen auch nicht, wie es weitergeht. Gut möglich, dass sich gerade diese reisenden Kinder später zu All-Inclusive-Touristen entwickeln – wer weiß das schon.

Was macht es mit mir? – 1. Monat

Ich bin jetzt seit einem Monat unterwegs und die Frage, was es mit mir macht, beantworte ich aktuell an jedem Abend anders. Mir geht es auf jeden Fall gesundheitlich sehr gut und meine Ziele sind noch ähnlich wie vor 4 Wochen.

Gestern abend habe ich zum ersten Mal wieder einmal Nachrichten angesehen. Es wurde diesem hyperaktiven Lindner viel zu viel Zeit eingeräumt. Der sollte mal durch Rumänien reisen um einsehen zu können, dass Wachstum und Wachsamkeit und dass einen keiner überholt, nicht die einzigen Maximen einer verantwortungsbewussten Politik sein können. Und wie ich das so ansehe fällt mir auf, dass ich selbst durch meinen Ausstieg auf jedes Mitgestaltungsrecht am System, das ich verlassen habe, verzichten muss. Ich bin aber abgeklärt genug um dieses Gefühl nur als einen weiteren Versuch des alten Lebens zu erkennen, mich zurückzuholen.

Der Selbstoptimierungsprozess geht nicht voran – oder ich merke es nicht. Es gibt einen Zwiespalt: ich will Leute einerseits ertragen, andererseits mich aus mir unangenehmen Situationen schneller verabschieden können. Die Euphorie, über komplexe Themen nachdenken zu können, hat mich etwas verlassen, weil ich abends innerhalb von 3 Minuten eingeschlafen bin und auch durchschlafe, egal, welche Konzerte die kläffenden Köter hier geben.

Apropos Schlafen: Vor der Reise bin ich oft morgens um 4 oder 5 wach geworden und konnte dann nicht wieder einschlafen. Heute kann ich mich um 9 Uhr noch mal umdrehen und eine Stunde weiterschlafen. Kopfschmerzen habe ich etwa seit einem Monat nicht mehr.

Ich habe das Gefühl, mich nicht selbst optimieren zu können, weil mein Kopf sofort zumacht, so als wolle er sagen: “Lass gut sein, das kommt von alleine und wenn es nicht von alleine kommt, dann ist noch nicht die Zeit dafür!”

Ich werte immer noch zu viel und lasse meine Gefühle zu sehr von meinen Bewertungen abhängen. Andererseits lasse ich es noch nicht zu, mir echt über Alternativen zu meinem alten Leben Gedanken zu machen.

Mein Verhältnis zur Arbeit ändert sich definitiv – es wird lässiger und deutlich unverkrampfter, obwohl ich mir der Verantwortung, Geld verdienen zu müssen, absolut bewusst bin. Am Sonntag hab ich mich den ganzen Tag mit Justin unterhalten und es mir wirklich etwas gebracht, in vielerlei Hinsicht. Eigentlich hätte ich arbeiten sollen.

Minus 8 – Angst vor Veränderungen

Aussteiger müssen vor allem eins tun, eine Entscheidung treffen – und zwar eine Entscheidung, die sehr viele, sehr unterschiedliche und auch in der Bedeutung extrem variierende Folgen mit sich bringt, über die man dann nicht mehr entscheiden muss. Es ist quasi eine Master-Entscheidung. Wer aussteigen will, muss z.B. kündigen, sein Haus verkaufen, sich von seinen Freunden verabschieden und damit klarkommen, dass Themen wie Rente und das soziale Umfeld neu geordnet werden.

So eine Entscheidung mit den klassischen Entscheidungsbewertungen falsch oder richtig einordnen zu wollen, funktioniert aber nur bedingt und wie immer, wenn man sich zwischen falsch und richtig nicht einsortieren kann, kommt das Gefühl dazu: Also es fühlt sich entweder gut oder schlecht an.

Bei uns hat sich das Gefühl Aussteigen zu wollen und es auch letztendlich zu können, von Anfang an gut angefühlt – also musste es wohl auch richtig sein. Daraus entwickelt sich Zuversicht. Fühlt es sich schlecht an, dann erwächst daraus Zeifel und später Angst.

Nun hat aber Gott der Herr oder die Evolution dafür gesorgt, dass Zweifel, Angst und Zuversicht zu wichtigen Überlebensmerkmalen wurden.

Wer also zweifelt, der sollte sich erst mal um diese Ängste kümmern und überlegen, wo sie herkommen und ob sie begründet sind, wer zuversichtlich ist, sollte sich auf jeden Fall genau überlegen, ob er nicht besser zweifeln sollte. Genau an dieser Stelle kommt die Rationalität ins Spiel und Menschen, die eher zur Zuversicht, als zur Angst tendieren – ohne das eine oder andere klar begründen zu können – werden die Frage nach der Möglichkeit des Aussteigens entspechend bewerten: Gas geben oder auf die Bremse treten.

Astrid Lindgren hat ihre Pippi Langstrumpf mal sagen lassen: “Das haben wir noch nie versucht, also wird es schon gutgehen!” Ein guter Freund hat mir mal gesagt: “Sowas habe ich noch nie gemacht, also ist das nichts für mich!” Jeder Mensch hat eine “Warum ich das nicht tue”-Antwort, und die sollte immer mal hinterfragt werden.

Bei uns kam zur grundsätzlichen Zuversicht auch noch das positive Ergebnis einer rational behandelten Entscheidungskette dazu. Ja, wir konnten das Haus gut verkaufen, ja, ich kann auch unterwegs Geld verdienen, ja, wir kommen auch auf kleinstem Raum gut miteinander aus.

Wir hören oft “Das würde ich mich nicht trauen!” Was impliziert das denn? Dass man gehen würde, wenn man den Mut hätte? Aber wie komme ich denn ohne Mut zurecht – in welcher Welt und wo auch immer?

Der Mensch ist ein komisches System, den bei aller Genialität kann er das Thema “Angst” nicht wirklich steuern. Bestes Beispiel: Wir wissen ganz genau, dass wir derzeit dabei sind, unsere Welt mit Schmackes zu zerstören. Es gibt genug wissenschaftliche Studien und niemand, der sich ernsthaft damit auseinandersetzt zweifelt daran, dass in 50 Jahren nichts mehr so sein wird wie heute.

Warum wir nichts dagegen tun? Weil wir keine Angst davor haben und Frau Merkel das schon richten wird. In Systemen wie unseren hat der Einzelne keine Angst oder übertriebene Zuversicht zu haben – dann funktioniert es nicht mehr.

Hätten wir Angst vor der Katastrophe, dann würden wir etwas dagegen unternehmen. Da wo die Angst zu Entscheidungsprozessen beiträht, hat Sie ein mächtiges Stimmchen mitzureden, wo die Evolution oder Gott der Herr sie für nicht zielführend hält, ist sie obsolet.