Zurück in Europa – diesmal für uns etwas ganz besonderes. Als wir für knapp 6 Wochen nach Marokko übersetzten, war in Europa noch alles in Ordnung. Jetzt bestimmen der geplatzte Flüchtlingsdeal mit der Türkei und Corona die Schlagzeilen. Man misst uns die Temperatur bevor wir an Bord gehen – ansonsten sind die Grenzformalitäten erstaunlich lässig. Wir werden auf beiden Seiten quasi durchgewunken. Erst später hören wir, dass wir eine der letzten regulären Fähren nach Europa erwischt haben.
Unseren ersten Stopp machen wir im Surfer-Paradies Tarifa und haben beim Essengehen in einem ganz normalen Restaurant unser Vergnügen. Das Essen in Marokko hat uns gar nicht gefallen und eine spanische Tapas-Bar ist zumindest für heute Abend der Himmel auf Erden. Wir wissen noch nicht, dass die Bar ein paar Tage später geschlossen sein wird wegen Corona.
In Tarifa tummeln sich die Surfer, vor allem die älteren – die Landschaft und das Meer sind atemberaubend. Nachdem unsere “Kultur-Tanks” wieder aufgefüllt sind fahren wir weiter nach Sevilla und sind geflasht von dieser tollen und unglaublich lebendigen Stadt, die von Mauren, Christen und Juden gleichermaßen geprägt wurde. Und Corona? Keine Spur – wir besichtigen die Museen und stehen für einen Besuch des Alcazar an. Nur zwei Tage später sollten Regierungserlasse das komplette Land lahmlegen. Wir überqueren die Grenze nach Portugal, wenige Stunden bevor der offizielle Grenzverkehr eingestellt wird.
Auf dem Campingplatz unserer ersten Portugalstation treffen wir rein zufällig Birgit und Wolfgang aus unserem Allagen. Die beiden sind reisefertig und sehen dem Heimweg quer durch Europa mit Spannung entgegen. Angeblich macht Spanien die Grenzen dicht. Auf unserem Stellplatz wird engagiert diskutiert. Hier in Albufeira in der Nähe von Faro ist es entspannt, aber wenige Kilometer weiter sind schon Campingplätze geschlossen worden. Im Fernsehen laufen Horrorszenen über Gestrandete in Marokko, Spanien und Portugal, wobei sich die Medien wirklich nur diejenigen rauspicken, die mit ihrer Situation einfach nur überfordert sind. Wir wissen von Reisenden, die es sogar in der Sahara noch super getroffen haben und hier das Ende der Krise abwarten. Die Horrorszenarien aus den Medien stellen die Realitäten sehr überspitzt dar. Andererseits: Wenn ich mich mit drei Kindern in eine Wartschlange vor den Fährhafen stelle, dann muss ich wissen, dass mein Wasser schnell ausgeht und die Toiletten-Kassette irgendwann voll ist. Wenn dann ein Kamerateam kommt sieht es aus, als wären alle Camper in Marokko in dieser verzweifelten Situation – sind sie aber nicht…
Gestern, am 19. März wurde in Portugal der Notstand ausgerufen, obwohl mal nur knapp 500 Personen infiziert sind und sich die Zahl kaum verändert. Auf dem Campingplatz wird es zunehmend ungemütlicher – die Nerven liegen blank und wegen kleinster Sachen kommt es zum Streit. Wir könnten heim, die Grenzen sind offen, aber derzeit wüssten wir ja nicht mal wohin. Freunde aus Österreich haben uns ihre Ferienwohnung angeboten und Ella prüft gerade in Wien, ob wir einreisen dürfen. Eine Alternative wäre der Stellplatz an der Zugspitze – eh unser 2. Zuhause – aber die mailen, dass sie nicht wissen, wie lange sie den Platz noch offen halten können.
Andererseits: Ich habe wegen der Corona-Krise und dem Dieselskandal gerade unglaublich viel zu tun und könnte im Augenblick gar nicht 4 oder 5 Stunden am Stück reisen. Es bleibt spannend.
Gestern haben wir beim Spazierengehen zu viert an der Straße zusammengestanden – da kam ein junger Portugiese und hat uns mehr oder weniger freundlich auseinandergetrieben. In zehn Tagen ist unser Auszeit-Jahr vorbei – wir hätten uns ein anderes Ende gewünscht.
Irgendwann beruhigt sich aber dann alles. Wir erfahren, dass die aktuelle Verordnung eine Öffnung der Stellplätze bis zum 17. April vorsieht, danach soll das Risiko neu bewertet werden. Sollte es in Sachen Corona weiter so entspannt bleiben an der Algarve wie im Moment, dann können wir hier die schlimmste Zeit an einem der schönsten Plätze der Welt aussitzen. Die registrierten Fälle kann man hier an der Küste an einer Hand abzählen. 95 % der portugiesischen Corona-Fälle sind in Lissabon und Porto verortet.
Trotzdem werden die Verordnungen hier eingehalten, sodass ich davon ausgehe, dass es ruhig bleiben wird. Die Portugiesen sind enorm diszipliniert. Der Mini-Markt neben dem Campingplatz führt alles was man braucht, das Wetter ist toll, am Strand kann man super spazieren gehen. Also werden wir wohl erstmal bis zum 17. April hier bleiben. Auf dem Platz sind derzeit 95 Wohnmobile – 15 sind in den letzten drei Tagen abgereist.
Die Tage verrinnen zäh – Wir sind jetzt seit drei Wochen auf diesem Platz und von den 95 Wohnmobilen sind bislang 20 abgereist. Man lässt uns hier weitestgehend in Ruhe. Das Wetter ist sehr wechselhaft, aber immer warm. Wir halten es ganz gut aus, zumal ich viel Arbeit habe und ein Platz am Meer ist nicht der schlechteste Ort in diesen Tagen.
Einmal die Woche kommt die Polizei, patrouilliert über den Platz, befragt ein paar Leute und geht dann wieder. Außer Lebensmittelgeschäften ist alles zu.
Wir sind jetzt über einen Monat in Falesia und beschäftigen uns langsam aber sicher mit unserem Heimweg.
Aber: Vom 19. bis vorerst zum 3. Mai 2020 gilt in Deutschland die Pflicht für eine 14-tägige häusliche Quarantäne zumindest für einreisende Menschen, die außerhalb Deutschlands im Schengenraum unterwegs sind und nicht zu den systemrelevanten Berufen wie Krankenschwestern oder Erntearbeitern gehören.
Mal überspitzt: Während also nun bis zu 40.000 Saisonarbeiter aus Ost-Europa in engen Spargelstecherhütten zusammenhocken, sind z.B. Wohnmobilisten auf dem Heimweg gezwungen, schnell ihr Zuhause anzufahren und sich hier in Quarantäne zu begeben.
Der Autor dieser Zeilen hat’s besonders schwer. Wir sind seit über einem Jahr mit dem Wohnmobil unterwegs und könnte an der Meldeadresse nur in einer Art Wohngemeinschaft die Quarantänezeit absitzen – mit der Gefahr, die anderen dort wohnenden Menschen anzustecken oder von denen angesteckt zu werden! Wir müssen uns also eine Alternative suchen.
Der Alltag hier hat etwas Beruhigendes – wir fühlen uns sicher. Aber andererseits ist es auch tödlich langweilig und abendliche Stuhlkreise bei Einhaltung der in Deutschland verordneten Abstandsregeln holen einen nicht wirklich aus der Lethargie, zumal mir der spirituelle Kontext fehlt, der mir beim Reisen und an schönen Orten immer das besondere meiner Situation vor Augen geführt hat.
Hier diskutiere ich mit den Besitzern teuren Wohnmobilen, warum sie für Stellplätze niemals mehr als 9 Euro ausgeben würden und frage mich, warum ich diese Gespräche führe und warum mich immer wieder der Sozialneid packt, wenn Reiche Leute über das Sparen fachsimpeln. Warum wollen sich die Reichen mit mir die billigen Plätze teilen? Ich verstehe es nicht….
Irgendwann wird uns das alles zu heavy und wir beschließen uns zu verabschieden, was nach fast 5 Wochen in dieser verschworenen Notgemeinschaft doch wirklich schwerfällt. Ein paar Leute haben wir wirklich schätzen gelernt. Wir ignorieren alle Warnungen, was alles schief gehen könnte, entscheiden uns für den teuersten Weg Heim über die Autobahn. In einem portugiesischem Lidl kaufen wir für 150 Euro Vorräte für die nächsten 14 Tage, weil wir ja in Deutschland in Quarantäne gehen müssen. Wir fahren über Menschenleere Autobahnen und passieren nach kurzem Fiebermessen die Grenze nach Spanien.
Auf dem Weg treffen wir Anja, die etwa zur gleichen Zeit losgefahren ist, sich aber die 54 Euro Autobahngebühren für Portugal gespart hat, indem Sie einfach durch ein offenes Tor gefahren ist. Ich freue mich, dass ich mich bei diesem tollen Land noch mit etwas Geld zum Abschied bedanken konnte. Später hören wir, dass Anja auch in Deutschland einreisen konnte, ohne ihre Personalien an der Grenze abgeben zu müssen. Dadurch entgeht sie der Quarantänepflicht und freut sich.
Nach langem Ritt durch Frankreich erreichen wir wohlbehalten und nahezu unkontrolliert nach 2500 Kilometern die deutsche Grenze bei Mülhausen. Den Polizisten an der Grenze versprechen, uns sofort am nächsten Tag einen Platz für die Quarantäne zu besorgen und finden für die Übernachtung einen schönen Platz bei Lahr im Breisgau – direkt am Rhein.
Unsere erste Nacht in Deutschland nach über einem Jahr. Ich treffe jemanden, der auch gern losmöchte, aber ich sehe ihm an der Nasenspitze an, dass er es nicht tun wird. Ich denke in diesen Tagen viel über die Leute nach, die wir kennengelernt haben und wie Corona unser und ihr Leben komplett auf den Kopf stellt. Die edle Garde der Overlander – die Pandemie pfercht sie in ihre kleinen Wohnungen und verbietet ihnen das Reisen auf unabsehbare Zeit. Ihre kolossalen Expeditionsmobile stehen in Marokko, an der Elfenbeinküste oder in Tunesien – wartend auf besserer Zeiten, während ihre Besitzer mit vom auswärtigen Amt organisierten Flügen nach Hause geholt wurden.
Wer das Geld hat lässt sich sein Fahrzeug aus Südafrika mit dem Schiff nach Hause bringen,
Wir wissen absolut nicht, wie es weitergehen soll. Wir können unser Haus nicht beziehen, müssen unser seit dem Unfall in der Türkei auf Schrottniveau heruntergebrochenes Fahrzeug über die Versicherung abwickeln und uns irgendwie auf das Leben nach der Reise vorbereiten. Aber nach einem Ende fühlt es sich nicht an und ein neues Auto haben wir uns auch schon ausgekuckt. Ich summe “Hit the road Jack!” und weiß, dass es absolut noch nicht zu Ende ist.
Erstmal einen Stellplatz finden, die Quarantäne absitzen und dann neue Pläne schmieden – so wird es gehen. Alles wird gut – Inshallah….
Udo Schmallenberg
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