7. Etappe – Hermannstadt (23. – 28. April)

Endlich Hermannstadt – ich habe so viel gelesen und gehört über die Hauptstadt Siebenbürgens, dass ich es kaum erwarten kann. Andererseits: Der Campingplatz Ananas strahlt so viel Ruhe und Sicherheit aus, dass wir erst einmal einen Zuhause-Tag machen und den Blick auf die verschneiten Karparten genießen.Ich kann auch arbeiten, weil es hier hervorragendes WLAN gibt. Ob wir uns erholen? Kann man so nicht sagen. Der Mensch ist dazu gemacht, sich das Leben schwierig zu gestalten. Aber ich habe das Gefühl, dass ich keine Ameise mehr bin im Ameisenstaat. Eine Reise wie dieses hat keinen Erholungscharakter. Wer sich erholen will, der muss was anderes machen.

Wir lernen unglaublich interessante Menschen kennen, Zuhause in Warstein kannte ich viele interessante Menschen, aber es kamen keine Neuen hinzu. Das hat mich zunehmend belastet.

Hier reden wir 20 Minuten beim Kaffee mit Leuten, die schon vor zig Jahren “ausgestiegen” sind und da kein großes Ding draus machen. Z.B. der Chef vom Camping Ananas. “Du kannst doch gar nicht beurteilen, ob die Zigeuner glücklich sind oder ob man denen helfen. Es ist die einzige Gruppe in Europa, die sich noch erfolgreich gegen das wehrt, was sonst alle gleichmacht!” Ich denke nach und frage mich: “Da hat er recht, eigentlich müsste man dieses Kulturgut schützen!”

Campingplatz-Chef Michael bringt uns zum Nachdenken!

Den ersten Abend haben wir im “Apfelhaus” gegessen. Hauptgang und Dessert für 2 Personen in gehobenem Ambiente für 24 Euro.

Am zweiten Abend haben wir begonnen, die Lebensmittel aus dem Kloster und von unseren rumänischen Freunden zu verwerten. Nach unseren Maßstäben sieht das alles etwas ungewohnt aus, aber wir müssen anfangen, Lebensmittel wieder als das zu sehen, was sie sind: Kalorien. Und wir wollen anfangen Nahrungsmittel wieder zu ehren.

Pater Mina hat uns ein heiliges Brot mitgegeben. Das darf man nicht wegwerfen, auch nicht, wenn es knochentrocken ist – und so mümmeln wir uns durch diesen Weißbrotberg und haben ein gutes Gefühl dabei.

Nudeln, Tomatensauce, eingemachte Bohnen aus dem Kloster und frischer Knoblauch, dazu das Weinchen, das mir der TuS Allagen zum Abschied geschenkt hat – Mehr braucht’s nicht.

Unser Michel bildet Rudel mit den unterschiedlichsten rumänischen Hunden. Abends ist er ratzenalle – aber er reift hier zum Rüden.

Der dritte Tag: Wir sind die 12 Kilometer nach Hermanstadt mit dem Rad gefahren und wieder mal überrascht uns dieses Land: Hermannstadt – oder Sibui – ist eine moderne Universitätstadt, in deren versteckten Winkeln man einen Harry Potter-Film abdrehen könnte.

Wir besuchen das Bücher-Cafe Erasmus und staunen über die erstklassige Auswahl deutscher Bücher. Auch wenn das “Sächsische” hier ausstirbt – Deutsch ist eine Trendsprache und wird an vielen Schulen als 2. Fremdsprache gelehrt – und die Rumänen sind stolz auf ihre Sprachfertigkeit. Die jungen Leute sprechen fast alle gutes Englisch. Hermannstadt ist sauberer als jede deutsche Stadt die ich kenne und auf eine sehr lässige Art und Weise absolut tiefenentspannt. Und auch wenn das alles mit EU-Geld finanziert ist – man könnte sinnloseres damit anstellen…

Am Abend beißt mir der Campingplatzhund ins Bein und der Campingplatz-Chef hat seinen Spaß. Hunde, auch bösartige, gehören hier überall dazu und es regt sich niemand auf. Die ganze Nacht durch kläffen die Köter und Michel fängt auch schon an. Hunde sind hier ein echtes Mega-Problem und selbst die Wachhunde werden nachts von der Kette gelassen. Der Polizei und der Administration sind die Hunde völlig egal.

Übrigens: Die deutsche Kultur ist hier rund 800 Jahre alt. Warum die Menschen aus dem heutigen Deutschland hierherkamen und die sieben Städte gründeten ist historisch nicht geklärt. Einige Erklärungen sehen in den Vorfahren der Siebenbürgener Sachsen gestrandete Kreuzfahrer, eine andere Theorie sagt, dass die Sachsen von einem ungarischen König angeworben und mit Land gelockt wurden. Historisch belegt ist das alles nicht.

Und Dracula? Der hatte hier in Transsylvanien lediglich mit dem grausamen Wlad Tepes ein historisches Vorbild. Der war ein Meister im Pfählen seiner Opfer, ihr Blut hat er aber wohl nicht getrunken. Dracula steht für “Sohn des Drachen”. Fest steht, das Wlad Tepes ein Adliger der Walachei war und der mit seinen Gegnern, z.B. den Türken, nicht zimperlich umging, aber von seinem Volk durchaus als gerechter Herrscher geachtet wurde.

Von Blutsaugern zu Politikern: Am 9.Mai findet ein EU-Gipfel in Hermannstadt statt. Rumänien führt aktuell den EU-Vorsitz und im Hermannstädter Kreiskrankenhaus wurden eigentlich verschobene Investition noch reaktiviert, um den hohen Gästen im Notfall medizinische Versorgung zukommen lassen zu können. Wenn Rumänien sich der Welt von der besten Seite zeigen will, dann hat es mit dem Gipfelstandort Hermannstadt eine perfekte Wahl getroffen.

Der nächste Tag: Michael nimmt uns mit nach Hermannstadt und wir gehen auf den Markt, für knapp 15 Euro kaufen wir einen Berg Ziegenkäse, total leckeren Schafskäse, Gemüse, Brot und Eier. Die Frage, ob das hier “bio” sei erübrigt sich. Ein Mann verkauft Sauerampfer.

Die rumänische Küche verarbeitet viele Sachen aus der Natur, in diesen Sauerampferblättern werden Reisbällchen eingewickelt.

Michael zeigt uns seine Wohnung. Der über 500 Jahre alte Dachstuhl ist wenig vertrauenserweckend. Es wirkt alles eher baufällig, hat aber auch einen ungeheuren Charme, leicht morbide, aber auch sehr bodenständig und bewusst.

In einem Cafe in einer Nebenstraße trinke ich den leckersten Kaffee seit langem und staune wieder einmal für das “Händchen” dieser jungen rumänischen Geschäftsleute, aus wenig ungeheuer viel zu “zaubern”.

Wir nutzen den Samstag und wandern zu einer historischen Kapelle auf einer Anhöhe über Michelsberg. Hier oben wird auf Marmortafeln der Toten aus dem ersten Weltkrieg gedacht. Ich summe andächtig “…und du warst nicht einmal 19 Jahre alt!” und gedenke dieses Wahnsinns, der nicht selten genug in Heldenverehrung gipfelt. Hier nicht so wirklich, denn als Siebenbürger Sachse für König und Kaiser das Leben zu lassen für Ereignisse 1500 Kilometer entfernt der Heimat dürfte auch aus damaliger Sicht nicht wirklich Sinn gemacht haben und heute kann das wirklich niemand mehr verstehen.

Heute sind die Tafeln die einzige Spur zu ihrem Leben und sie mahnen uns wachsam zu sein. Abends gehen wir essen mit Michael und es ist wirklich superlecker. Sylvia und ich zahlen 90 Lei (18 Euro) für ein tolles Essen mit Getränken und Dessert. Ich streite mit Michael, ob es meine Pflicht ist, mir die orthodoxe Osternachtfeier um Mitternacht in der Dorfkirche anzusehen. Des lieben Friedens willen gehe ich mit und sammele wertvolle Erfahrungen. Michael hat schon nach einer Stunde genug von dieser wirklich beeindruckenden aber uns völlig fremden Lithurgie und verabschiedet sich. Wir bleiben noch eine Stunde und genießen den Gesang und die Fremdartigkeit der Szenerie. Als aber gegen 2 Uhr früh immer noch kein Ende in Sicht ist heißt es auch für uns ein letztes Mal “Amin!” und ab ins Bett.

Die orthodoxen Christen feiern Ostern eine Woche später als wir in Deutschland.

Am Montag wollen wir weiter. Michael hat mir für einen kostenlosen Stellplatz ein Geschäft vorgeschlagen, das ich heute umsetzen werde. Meine Fähigkeiten im Netz helfen mir auch hier und ich habe langsam dasGefühl, dass dieses “Digitale Nomadentum” funktionieren könnte. Ich arbeite mit einer Datenkarte von Vodafone: 30 Gigabyte für 4,90 Euro. Am Montag müssen wir in Hermannstadt noch Gas auffüllen – die ersten 10 Kilogramm gehen zu neige.

Ein tolles Team: Vero und ihr Vater Janos sind Nachbarn von Michael in Michelsberg. Die selbstbewusste Frau ist eine stolze Rumänin, für die Familie über alles geht.

Das ist das Ende dieser Etappe: Morgen geht es nach Kronstadt und Bran und ich freue mich sehr auf die erste Bergetappe in den Karparten, bevor es uns nach 3 Wochen Rumänien nach Bulgarien führt und dann nach Albanien, wo wir uns – so alles klappt – mit Karl aus Österreich treffen werden.

4 Gedanken zu „7. Etappe – Hermannstadt (23. – 28. April)“

  1. Hallo, ich bin Michael, der Campingplatz Wart. Ich danke Euch. Es war sehr schön für mich. Ich zeigte Euch das, wofür ich seit vielen Jahren lebe und Ihr ließt mich an Eurem Abenteuer teilhaben, was ein Neuanfang ausmacht. Mut – das Leben lohnt es.

  2. Ein hallo aus den Weserbergland an die Aussteiger für ein Jahr. Dein Bericht über Hermannstadt und alle vorherigen sind jeden Abend ein Genuss für mich. Ich hoffe alle Tage neue Berichte .Weiterhin alles gute . Gruß Ulli

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