Auf dem Weg nach Hermannstadt brauche ich einige Zeit um zu begreifen, dass das Navi die Anweisung „Keine Autobahnen“ auch auf Schnellstraßen bezieht. Wir fahren über Straßen, in deren Schlaglöchern man Spanferkel grillen könnte. Endlich die Grenze! Aber welche Grenze? Der freundliche Herr im Häuschen erklärt uns, dass es hier in die Ukraine ginge. Wieder zurück auf dem Weg in den Süden testen wir mehrere Abzweige, um uns einen Platz für die Nacht zu suchen. Jedes mal passt irgendwas nicht. Dann weist uns der Weg zu einem kleinen Kirchlein, das sich nach 2 Kilometer Schotterpiste als komplette Klosteranlage rumänisch-orthodoxer Mönche entpuppt. Bruder Mina leitet das Kloster und schon wie ich ihn sehe weiß ich, dass hier der nächste große Moment unserer Reise auf uns wartet. Am Ende passt es immer…
Natürlich können wir hier stehen und natürlich fährt Vater Mina zum Abendessen auf, was die Klosterküche hergibt. Vor Ostern dürfen rumänisch-orthodoxe Mönche nur vegan leben – und es ist ein Traum! Das beste vegane Essen, dass ich je auf den Teller bekommen habe.
Wir reden über Gott und die Welt und bleiben schließlich bei der Apokalypse hängen. So ein gescheiter Mensch – unglaublich. Morgen empfängt das Kloster 200 Kinder bedürftiger Familien der Umgebung. Ich hab ihm versprochen, eine Geschichte draus zu machen und Fotos in Deutschland zu veröffentlichen.
Das Kloster führt gemeinsam mit Leuten aus dem Dorf ein soziales Projekt. Federführend ist Michaela, die mit mehreren Hochschulabschlüssen doch den Einsatz für ihre „Kleinen Herzen“ einer Karriere als erfolgreiche Rechtsanwältin oder Psychologin vorgezogen hat.
Wir begleiten das Projekt zwei Tage lang und sind nicht nur von Michaelas stoischem Durchsetzungswillen beeindruckt, sondern auch überrascht, wie Vater Mina Verantwortung für dieses sehr weltliche Thema übernimmt. Er ist immer dabei, begleitet jeden Schritt, spielt mit den Kindern und freut sich, dass wir dabei sind. Es ist für ihn „Fügung“ und völlig unvorstellbar, dass wir in diesem System – heute oder morgen – keine Position einnehmen.
Am Morgen werden über 200 Kinder hier versorgt – geistig und körperlich. Die Kinder und Jugendlichen sind höflich, gebildet und sehr interessiert. Natürlich grassiert auch hier der Handywahn, aber es ist doch alles noch etwas geerdeter.
Ich habe nicht das Gefühl, dass diese Kids unglücklicher sind als unsere.
Auch Sportlehrer Radu bricht eine Lanze für seine kleinen Rumänen. Er zeigt uns seine Schule und die Rektorin führt uns stolz zum PC-Raum und ins Labor. Gut – es könnte mal gestrichen werden, aber einen echten Unterschied zu einer deutschen Schule mag ich nicht ausmachen – auch nicht auf der schönen Kunstrasenanlage. Im Lehrerzimmer: Wieder Essen. Eine Kollegin hat Geburtstag und wenn die Rumänen Essen auffahren, dann nicht zu knapp. Z.B. Reisbällchen in Kohlblätter eingerollt.
Kurz sprechen wir über das Roma-Thema und für ihn ist das klar: „Die sind nicht integrierbar!“ und diese Meinung begegnet uns immer wieder. Ich denke, man muss es akzeptieren. Radu macht mir nicht den Eindruck, als dass er Menschen in Klassen einteilt – aber er hat seine Erfahrungen. Seiner Meinung nach leben einige traditionelle Roma in Rumänien genau den Lebensstil, den sie leben möchten und nichts könne sie davon abbringen. Ich tue mich schwer mit dem Thema, muss aber akzeptieren, dass die Leute hier eher Experten ihrer eigenen Situation sind als ich.
Am Tag liefert eine Hilfsorganisation aus Coburg einen Bulli mit Anhänger voller Hilfsgüter. Die Dinge werden alle dankend angenommen, aber wenn ich die Tüte mit den 300 bunten Plastikeiern „zum Dekorieren“ sehe frage ich mich, wer die wohl aus welchem Antrieb 1500 Kilometer quer durch Europa geschickt hat und wer entschied, ob man die hier brauchen könnte.
Seit 28 Jahren gibt es diese Rumänienhilfe und dafür gilt Xaver und seinen Leuten mein ehrlicher Respekt und mein tiefer Dank! Die Welt wäre ärmer ohne Menschen wie euch! Aber Systeme sollten immer mal wieder durchleuchtet werden.
Ich persönlich denke, die Leute hier vor Ort könnten mit Geld und puren Lebensmitteln viel mehr anfangen und das auch besser organisieren.
Michaela erklärt uns, dass die Menschen oft meinen, nur mit Lebensmitteln und Kleidung caritativ sein zu können in der Tradition des Hl. Martin: “Wir sind sehr dankbar für diese Hilfe, aber wir brauchen auch Zement und Farbe!” Die Rumänienhilfe tut etwas und das mit aller Kraft und allerbesten Absichten, aber ich glaube, dass man mehr miteinander sprechen müsste.
Abends sind wir dann bei Rodrica zum Essen eingeladen. Auch sie tischt wieder auf als ob‘s kein Morgen gäbe.
Die Großmutter führt einen großen Haushalt mit Schweinen, Hühnern und eigenem Mini-Weinberg. Sie schenkt uns eine Flasche selbst gekeltertem Rotwein, eine Cola-Flasche voll Schnaps, der mich schon vom Riechen blind macht und eine 5 Zentimeter dicke Schweineschwarte mit etwa 4 Kilogramm purem Fett. Selbst als Vegetarier komme ich aus der Nummer kaum raus – aber zumindest den Speckberg werde ich in Michaelas Tiefkühtruhe wandern lassen.
Nach dem Essen zeigt uns Michaela ihren Traum – noch ist es eine halb renovierte Bauruine, aber schon bald sollen hier Begegnungen stattfinden und Jugendfreizeiten organisiert werden. Ich weiß nicht, woher dies Frau ihre Kraft nimmt – und ihre Zuversicht. Mir scheint die Aufgabe kaum lösbar, wenn nicht eine Geldquelle aufgetan wird.
Abbrennen und auf Millionäre warten klappt vielleicht in Paris, hier nicht…
Am späten Abend kommen Michaela und Pater Mina zu uns ins Wohnmobil und wir diskutieren über’s in den Himmel kommen und was man auf Erden so alles Gutes tun kann. Wir reden auch über die 600 Millionen, die für Notre Dame gespendet wurden, während es hier in Rumänien an allen Ecken und Kanten fehlt. Vater Minas sagt: „An Gott darf man nicht sparen!“ – und Punkt.
Michaela erzählt, dass die öffentliche Meinung in Bukarest laute: „Lieber Krankenhäuser als Kirchen!“ Dass aber trotz Verzicht auf den Kirchenbau keine Krankenhäuser gebaut würden ist für sie typisch in glaubensleeren Gesellschaften.
Im Oktober ist der Orden in Deutschland und ich soll eine Präsentation erstellen. Sobald ich ordentlich WLAN habe baue ich Michaela die Homepage für ihre „Kleinen Herzen“ und den Text für’s Kloster gibt’s dann auch.
Es ist Karfreitag, unser 3. Tag im Kloster. Michaela hat sich mit dem Daimler-Transporter des Klosters auf dem Schotterweg zu Ihrem Feriencamp festgefahren – ich denke nicht das erste Mal. Ein Wendeplatz würde helfen, damit nicht immer rückwärts der steile Weg gegen die Kupplung hochgestemmt werden müsste. Nach einer Stunde hab ich den Transporter wieder in der Spur. Er hat 700.000 Kilometer auf der Uhr uns ist das technische Herz der Organisation. Es ist eine Frage der Zeit…
Ihrer überbordende Zuversicht steht den Rumänen oft ein kleiner Mangel an Voraussicht im Wege. Das gilt nicht nur für Wendeplätze.
Und das Plastik…Das ist hier gegenüber Ungarn nochmals eine Steigerung. Getrunken wird hier nur aus Plastikflaschen und die Müllabfuhr hat Schwächen. Egal wie oft wir uns „Blue Planet“-Folgen auf Netflix ansehen – die Realität sieht ganz anders aus – insbesondere in Transsylvanien. In Deutschland macht man sich keine Vorstellung davon, vielleicht auch als Folge der Tradition der Mülltrennung im „Gelben Sack“. Ich habe das mal verurteilt, heute sehe ich das komplett anders. Würde man in Rumänien für jede Flasche, die man entsorgt, einen Lei bekommen, könnte es vielleicht anders aussehen.
Sylvia ist mit Joana unterwegs und bringt Lebensmittelpakete zu bedürftigen Familien. Sie ist fasziniert und erschrocken zugleich. Die Armut ist kaum vorstellbar. Häuser ohne Fußboden und Kinder und die Hühner unter einem Dach. Mit viel Glück gibt es eine Waschmaschine, im Bad allenfalls ein Klo und ein Waschbecken. Michaela sagt: “Sie müssten so nicht leben, aber es ist sehr schwer herauszukommen!”
Michaelas Organisation packt außer zu den Feiertagen 4 – 5 mal pro Jahr Pakete. Besonders willkommen ist das Schulpaket, wo es für jedes Kind einen Rucksack und die notwendige Ausrüstung für die Schule gibt.
“Der Gottesdienst dauert 3 Stunden von 17 bis 20 Uhr und die Zeit reicht gerade mal, um all die Bilder anzusehen, die jeden Quadratzentimeter des imposanten Gebäudes schmücken. So viele goldene Heiligenscheine auf einmal habe ich noch nie gesehen. Es macht den Eindruck, als würde hier die ganze Bibel nacherzählt. “Draußen ist noch Platz für noch mehr Heiligenbilder” – lacht Vater Mina sein sehr unorthodoxes Lächeln.
Orthodox steht im Glaubensverständnis dieser Kirche übrigens für “einfach”.
Wir wollen weiter, die Rumänen erzählen uns von unglaublichen Sehenswürdigkeiten und wir sind es diesen tollen Leuten schuldig, uns das anzusehen.
Am Morgen zur Frühstück kommen Vater Mina und Michaela und bitten uns, noch einen Tag zu bleiben. Sie brauchen Helfer zum Kirchenputz, außerdem soll ich Michaelas Freizeitanlage aufräumen und die Hilfsgüter einsortieren. Das Wetter ist toll und uns gefällt es hier ganz gut, also verschieben wir die Weiterreise auf Sonntag.
Wie ich hier so arbeite denke ich nach, wie man dem Projekt am meisten helfen könnte. Michaela braucht Leute mit Organisationstalent und Lust, die Ärmel hochzukrempeln. Ich denke an die vielen Rentner in Deutschland, die hier unglaublich viel helfen könnten – auch mit handwerklichem Können. Das Arbeiten im Kloster gibt einem viel. Die Atmosphäre bei den gemeinsamen Mahlzeiten und der geregelte Tagesablauf fahren ein gestresstes System spürbar herunter. Vater Mina würde jeden Helfer herzlich willkommen heißen. Es ist ein sehr spiritueller Ort hier und das spürt man sehr deutlich.
Er fragt, ob ich mir den kaputten Fendt mal ansehen könnte, der käme schließlich auch aus Deutschland. Der 40 Jahre alte Schlepper laboriert an einem defekten Planetengetriebe an der linken Vorderachse. Bruder Mina wundert sich, warum er nirgendwo Ersatzteile findet im Internet. Mein Kumpel Bruce gibt Rat per Telefon: “Weil man die ganze Antriebseinheit wechseln muss. Einen defekten Satelliten kann man nicht austauschen!” Kosten: Etwa 400 Euro schätzt er. Das ist hier in Rumänien sehr viel Geld.
Am Abend des vierten Tages haben wir Küchendienst. In Sachen Ordnung und Sauberkeit muss man kleine Abstriche machen. Sylvia meint: “Ist halt ein Männerhaushalt!”
Etwas Essen muss stehen bleiben, weil Vater Mina noch bis Mitternacht Gläubigen die Beichte abnimmt. Die Seelsorge ist hier ein Knochenjob. Was mich an diesen orthodoxen Mönchen fasziniert ist ihre Erdverbundenheit und ihre Unverkrampftheit, gerade in Glaubensfragen. “Wir missionieren nicht”, sagt Vater Mina. Für Gemeindepfarrer gilt auch kein Zöllibat und viele der starren und tausendjährigen Regeln werden mal mehr mal weniger beherzigt.
Morgen geht es weiter: Wir besuchen Michaela in Klausenstadt und wollen uns dann in Turda das Salzbergwerk mit dem unterirdischen See ansehen, bevor wir mit Hermannstadt – der heimlichen Hauptstadt Siebenbürgens – unser erstes Monatsziel erreichen. “Danach kommt ein anderes Rumänien”, warnt uns Michaela und empfiehlt, bis zum Donaudelta zügig durchzufahren.
Kurz vor der Abfahrt schreibe ich noch ein Mail an meine Familie:
“Hallo, euch auch ein schönes Osterfest und dank des rumänischen Internets war das Lämmchen nach etwa einer Stunde Ladezeit auf unserem Rechner.
Da ich während dieser Zeit nicht arbeiten kann eine herzliche Bitte: Denkt bitte dran, dass es auch für solche Anhänge notwendig wird, dass überall auf der Welt Strom fressende Rechenzentren gebaut werden müssen. Idealerweise hier in Rumänien. Geht bitte sorgfältiger mit unserer Umwelt und den Leuten überall auf der Welt um. Es ist teils fürchterlich anzusehen, was hier passiert, und die Leute haben keine Chance sich zu wehren. Die Helfer reißen sich wirklich den Arsch auf, aber es scheint, als könne man gegen den Westen und diesen miesen Kapitalismus nicht anarbeiten. Cocacola müsste verurteilt werden, die ganzen Scheiß PET-Flaschen zurückzunehmen. Kauft bitte nichts mehr von solchen Multis bis die anfangen auch internationale Verantwortung zu übernehmen. Nehmt mir das bitte nicht übel, aber man beginnt krass nachzudenken hier…”
Wir verabschieden uns von Vater Mina und den Klosterleuten und fahren im Convoy mit Suzanna nach Cluj, wo Michaela schon auf uns wartet. Auf dem Weg inspiziert Suzannahs Mann noch einen Zuchthengst im Auftrag eines Freundes. Hier gibt es auch ein grad mal 12 Stunden altes Fohlen.
Abends essen wir egetarisch in einem tod-schicken In-Restaurant in Rumäniens zweitgrößter Stadt – was für ein Kontrastprogramm. Das Essen mit Getränken und Desserts für 5 Personen kostet knapp 50 Euro.
Schwarzen Meer wollen wir dann einfach nur mal Urlaub machen. Ich fürchte, da wird uns auch wieder etwas dazwischenkommen.
Vielen Dank fuer diese schoene Tage die wir zusammen verbracht haben. Ich habe der Artikel gelesen und Udo, du hast ein (fast) klares Blick. Wir vermisseu Euch und hoffen auf ein zukuenftiges Wiedersehen.
Hallo Mihaela
du und Pater Mina und die tollen Leute überall in Rumänien haben mir sehr die Augen geöffnet für dieses tolle Land und dafür bin ich dir und deinen Leuten sehr sehr dankbar!!!
Wir werden uns wiedersehen!
Viele Grüße an alle
Udo und Sylvia
Wahnsinn, freue mich auf’s nächste Abenteuer!
An der ukrainischen Grenze in der Stadt Sighet gibt es ein sehr interessantes Museum, das den Komunismus in den europ. Ländern dokumentiert. War für uns beeindruckend und war anscheinend ein ehemaliges Gefängnis. Auch sehr interessant ein ehemals deutsches Dorf Weisskirch (Viskri) mit alter Wehrkirche und Typ. ehemaliger Dorfform. Die Mutter von Caroline Fernolend gibt auch eine Führung in dieser Wehrkirche. Alle sprechen deutsch. Weiter interessante Eindrücke. Fred
Einfach Klasse, was ihr so erlebt. Scheinbar gibt es da keine Sprachbarrieren, oder? auf jeden Fall scheint ihr euch gut verstanden zu haben. Weiterhin gute Reise.
Wir sprechen Deutsch, hier in Siebenbuergen. Und auch Englisch, wie ueberall.