Minus 47 Tage: Klebrige Finger

Man spürt es ganz deutlich: Das alte Leben, an dessen Nordkapp wir 47 Tage vor dem Tag “X” kampieren, hält uns mit klebrigen Fingern zurück, will nicht das wir gehen. Es ist sich einig mit Sparkasse, Sozialversicherung, Sportverein und Finanzamt: “Bleib doch!”

Man spürt das an verschiedenen Dingen: Z.B. gibt es die klassische Strategie der Problemlösung “Einen Schritt nach dem anderen” für Aussteiger nicht. Auf dem Weg raus aus Ameisenhaufen/Bienenstock/Gesellschaft eröffnet die Lösung eines jeden Problems ein Neues. “Ich bin dann mal weg” hat für Hape Kerkeling nur funktioniert, weil sich jemand um seinen ganzen Kram gekümmert hat. Hätte er das selbst machen müssen, wär er heut noch da – That’s Showbiz!

Es ist eine Illusion, dass jeder aussteigen kann, wenn er die Nase nur gründlich genug voll hat. Genau das ist der Punkt, Aussteigen geht eigentlich nur, wenn man sich einen versöhnlichen Blick auf das zukünftige Gestern bewahren kann. Grad an diesem Punkt wird einem sonst die Kraft, die Lust und auch die Potenz fehlen, die anstehenden Aufgaben anständig und elegant zu lösen. Was folgt ist dann ein Aufbruch aus einem Scherbenhaufen statt eines geordneten Rückzug.

Das macht müd’, steigert aber den Wunsch das alles hinter sich zu lassen, weil langsam klar wird, welche Mechanismen dafür sorgen, dass Homo Sapiens – der Systemelefant – zeitlebens auf Größe und Interaktionsfähgkeit einer Ameise eingedampft bleibt, wenn er sich nicht das Türchen öffnet und heraustritt mit breiter Brust und großer Lust auf ein kleines Abenteuer.

Klein machen!
Das Internet ist ein gesellschaftlicher Mikrokosmos und wenn man dort von seinen Plänen berichtet, dann bekommt man sehr schnell ein paar Päckchen auf den Weg, so etwa die Aussage in einem Forum: “Ich halte deinen Plan mit so wenig Erfahrung für sehr ambitioniert!”

Filettieren wir diesen leicht nach irgendwas müffelnden Wortfetzen doch mal mit dem scharfem Wortwitzmesser! Es bleibt die zögerliche Mutter, die dem Kleinen auf den Weg gibt: “Das kannst du noch nicht! Setz dich hin und kuck, wie die Großen das machen!” Allerdings – und das lehrt uns der Forum-Kommentar: Wirklich groß wird man nie, da gibt’s immer wieder jemanden der sagt: “Lass das lieber sein!” und zwar mit dem Ziel, das aus der Konformität herausstrebende Individuum bei der Stange, bzw. an der Leine zu halten.

Probleme machen!
Dem Aussteiger stellen sich auf Schritt und Tritt Probleme in den Weg. Niemand, kein Mensch und auch keine Behörde, sind dazu da, diese Probleme zu lösen, nur dazu, immer noch eins draufzusetzen. Man erkennt konstruktive Wegbegleiter und nützliche Einrichtungen daran, dass sie einen tragen, statt mit klebrigen Fingern und düsteren Vorahnungen zurückzuhalten. Beispiel: Man Kündigt die Telekom zum 31. März, wird dreimal angerufen warum und weswegen und erwehrt sich mit Nachdruck aller weiteren Andienversuche. Dann denkt man “Das war’s!” und erhält dann aus heiterem Himmel einen Retourenschein zugeschickt, mit der Bitte, den uralten Router zeitnah zurückzuschicken. Die Kündigung gelte dann ab dem dritten Tag nach Zusendung des Routers. Gut: Der Router ist gemietet, das fällt mir jetzt wieder ein. Aber: Würde ich das System nicht verlassen wollen, wäre dieser Punkt nicht mal ein Millionstel eines Zeitsekundensandkorns für mich von Bedeutung. Jetzt aber fängt das Laufen und Grübeln wieder an.

Weiter Beispiele:

Ich habe vor 6 Wochen die Schulden für das Motorrad bezahlt und der Käufer wartet stinksauer auf den bei der Bank zur Sicherheit hinterlegten Brief. Gestern ruf ich da an und frag, wo der Brief bleibt. Da sagen die „Ach den Brief wollten Sie haben, wussten wir leider nicht, kriegen Sie in den nächsten 4 Wochen!“

Sowas passiert mir hier 5 Mal am Tag zu unterschiedlichen Themen.

“Ach Sie wollen sich abmelden? Wo ziehen Sie den hin? Ach das wissen Sie nicht? Dann können Sie sich nicht abmelden. Ah, Haus verkauft, stimmt, dann müssen Sie sich abmelden…. Dafür gibt es den Stempel ‘Ins Ausland verzogen'”

Und dann wieder von vorne

„Gut, dann schreiben wir ‚Ins Ausland verzogen!‘ – bitte achten Sie darauf, dass Sie Ihre Krankenversicherung und Ihr Finanzamt informieren…“

Und dann wieder von vorne…..“Wie Sie wollen sich abmelden und haben keinen festen Wohnsitz, sind im Ausland unterwegs, da können Sie aber nicht versichert bleiben…!“

„Keinen festen Wohnsitz? Ah, da gibt‘s in Berlin Mitte das Schwerpunkt-Finanzamt für Nicht-Sesshafte. Schicken Sie denen doch mal Ihre Adresse, die kümmern sich um sowas.“

Mut machen!
“Den Mut hätte ich nicht!” – Dabei hat es nichts mit Mut zu tun. Der Aussteiger erkennt schnell, dass es mehr Mut erfordert, daheim zu bleiben und darauf zu hoffen, dass schon alles gut gehen wird. Ein Freund hat mal gesagt: “Was ich nicht kenne mache ich nicht!” – Pipi Langstrumpf hat mal gesagt: “Ich habe es noch nie versucht, also wird es schon gutgehen!”

2 Gedanken zu „Minus 47 Tage: Klebrige Finger“

  1. Danke, bin durch Zufall (Thermomix im Wohnmobil) auf eure Seite gestoßen.
    Ich werde mir in Ruhe mal nach und nach ansehen was ihr so geschrieben habt. Aber nur der kleine Auszug von Minus 47 und eine kleine Zeile aus Marokko, ich brauch das nicht, nicht wirklich, tat schon echt gut.
    Liebe Grüße und eine gute Zeit ausm Sauerland
    Sven und Regina
    P.S.
    Habt ihr den TM nun mitgenommen, grins?

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