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Exkurs IV: Der Waschlowani-Nationalpark

Müsste ich einen Höhepunkt unserer Reise definieren, dann wäre das die dreitägige Tour durch den Waschlowani-Nationalpark im Süden Georgiens an der Grenze zu Azerbeidjan (entschuldige Sanliurfa, aber du bist nunmal alles andere als wild und unberührt).

Es gibt im Waschlowani-Nationalpark ausschließlich mehr oder weniger gut befahrene Pisten. Die Neigungswinkel sind teils erheblich. Hier braucht es Kraft, Allrad und Bodenfreiheit.

Der Waschlowani-Nationalpark (ვაშლოვანის სახელმწიფო ნაკრძალი) liegt in der Region Kachetien und wird von der Stadt Dedopliszqaro erschlossen. Hier befindet sich auch das Tourismus-Center und die Station der Border-Police, über die die Eintrittsgenehmigungen erstellt werden. Ein Eintritt ohne Genehmigung ist verboten. Kosten entstehen je nach Aufenthaltszeit und ob Zimmer in den drei Rangerstationen gebucht werden. Wir haben für die Camping-Variante rund 30 Euro bezahlt für drei Tage.

Wir haben in den drei tagen im Nationalpark Waschlowani maximal 15 Leute getroffen, unter anderem diese Hirten.

Der Nationapark Waschlowani zeichnet sich durch sein trockenes Klima, steppenartige Vegetation und bizarre Fels- und Hügelformationen aus. Es gibt aber auch gibt es auch lichte Wälder und Buschgebiete. Das 1935 eingerichtete Nationalpark hat heute eine Gesamtfläche von über 251 Quadratkilometern.

Die Pisten ziehen sich endlos hin.

Wir sind im Park etwa 150 Kilometer gefahren, wobei alles einigermaßen machbar war, lediglich den Schluss der Anfahrt auf Mijniskure haben wir uns geschenkt, weil es einfach zu eng wurde.

Die Straßenschilder zeigen’s deutlich: Hier entlang nur mit dafür ausgerüsteten Fahrzeugen.

Wir würden grundsätzlich empfehlen, hier ausschließlich mit Motorrad oder Allrad-Fahrzeugen zu reisen, weil es doch immer wieder zu Ausnahmesituationen kommt, wo “normale” Fahrzeuge einfach überfordert wären.

Im Hintegrund die noch schneefreien Gipfel des “Kleinen Kaukasus”

Was macht es aus? Zum einen mal die absolute Ruhe und das Gefühl für die Weite einer Steppenandschaft. Tiere haben wir nicht gesehen – außer einer überfahrenen Giftschlange und einer echt großen Echse. Die Ranger sagen, dass im Frühling mehr zu sehen ist. Nachts hört man unter sternenklarem Milchstraßenhimmel Coyoten heulen – oder Hunde? Man weiß es nicht.

In den Schluchten wird es sehr eng.

Für uns gehört ein Besuch im Waschlowani-Nationalpark zu den Pflichtaufgaben einer Georgie-Aufenthaltes. Mit dem eigenen Camper ist das ein ganz besonderes Erlebnis. Ob man im Rahmen einer geführten Tour diese Nähe zur Natur spüren kann weiß ich nicht – ich kann es mir aber nicht vorstellen.

Und hinter dem Horizont geht es genauso weiter.

Man kann hier nirgendwo Geld ausgeben – Diesel und Trinkwasser müssen ausreichen und Handyempfang ist gleich “Null”.

Wer ähnliche erlebniss verbunden mit etwas mehr Kultur und Zuvilisation erleben will, der sollte sich das Kloster Dawit Garedscha nicht entgehen lassen. Das ist nicht weit weg vom Nationalpark und absolut empfehlenswert.

Exkurs III: Das Erdbeben von 1988

Leninakan 1988, es ist der 7. Dezember. In der zweitgrößten Stadt Armeniens ist es bitterkalt, in den Schulen wartet man auf die große Pause. Kurz vor zwölf gerät die armenische Stadt – die heute wieder Gjumri heißt – komplett und für lange Zeit, wenn nicht sogar für immer aus den Fugen. Die Erde bebt. 25.000 Menschen sterben entweder durch herabstürzende Trümmer oder sie erfrieren, über eine Million Menschen sind von einer Minute auf die andere obdachlos. Das Beben traf nicht nur das ehemaligen Gjumri/Leninakan, vormals Alexandropol, auch im benachbaren Spitak und in Vanadsor hinterließ es Verzweiflung und Traumata.

Wellblech, Holz und Pappe – Wie soll man da durch den Nordarmenischen Winter kommen?

Spitak wurde komplett ausgelöscht und der Ort an anderer Stelle neu aufgebaut. Vanadsor hatte als unbeliebter Industriestandort ohnehin wenig Glück bei der Findung einer eigenen Identität in der postsowjetischen Phase – und so kam es der Hauptstadt der Provinz Shirak zu, die Erinnerung an das Beben in die Geschichtsbücher zu schreiben.

Mir hat das Erdbeben von Gjumri nichts gesagt, obwohl ich solche Nachrichten-Meldungen eigentlich nicht vergesse und sicher abspeichern kann. Aber wir waren grad frisch Eltern geworden, wahrscheinlich hat Janes gerade mal wieder geschrien und ein zweites Mal hat die Tagesschau wohl nicht berichtet.

Wir fahren zufällig und unvorbereitet durch Gjumri. Die Stadt gibt uns nicht viel. Eben eine typische armenische Stadt, aber auf den zweiten Blick hätten wir merken müssen: Hier ist etwas anders, aufgeräumter. Nicht ohne Grund: 1988, also gerade mal 30 Jahre her, ist hier kein Stein auf dem anderen geblieben in einer Zeit, in der die Sowjetunion den letzten Zügen lag. Mit brutalen Schlägen pulveriesierte die Natur eine ganze Region.

Die Sowjetrepublik Armenien brauchte Hilfe und sie wurde dank des Krisenmanagements des charismatischen Michail Gorbatschow auch international gewährt – selbst das verhasste Azerbeidjan ließ die Konflikte ruhen und schickte Hilfstrupps.

All das wussten wir noch nicht. Wir übernachten und haben eine friedvolle Nacht. Es ist kalt im Norden Armeniens im Winter 2019. – genauso kalt wie im Dezember1988. Am Morgen wollen wir uns die Stadt ansehen. Aber: Das Auto springt nicht an. Etliche Armenier kommen mit gutem Rat, aber der einzige, der uns wirklich helfen kann, ist Heros, der mit seinem uralten Lada mit verblichenem Taxischild auf dem Dach anhält. Ihm ist gleich klar, dass Starthilfe hier nichts bringt und bietet mir an, meine Batterie zuhause aufzuladen.

Es ist wirklich ungemütlich kalt und wir nehmen die Einladung mitzukommen und bei ihm zu warten, dankbar an. 5 Minuten später stehen wir vor einem Bretterverschlag inmitten von ausgeschlachteten deutschen Autos, kaputten Kühlschränken. Die Szene ist nicht real, denn Heros und sein Sohn Arman sind feine Menschen – kultiviert, gepflegt, gastfreundlich. Warum wohnen sie in einem solchen Verschlag?

Wir erfahren, dass die kleine Familie auf dem eigenen Land lebt und hier ein schönes großes Haus gestanden hat – bis zum 7. Dezember 1988. Danach war nichts mehr wie es war und es wurde auch nicht mehr. Zumindest für Heros nicht.

Die Sprachbarriere verhindert, dass er uns mehr erklärt, als er uns mit Händen und Füßen sagen kann, aber die Szenerie spricht für sich. Auch 30 Jahre nach dem Erdbeben wohnt Heros mit seiner Frau und seinem geschiedenen Sohn in einem Häuschen aus Brettern, Pappe und Metallplatten zwischen Heiligenbildern und Schränken voller Kram – dazwischen ein dicker Wälzer mit Zeitungsartikeln.

Ich möchte nicht wissen, wie das da im Winter ist und frage mich, ob er versucht hat, seine Probleme zu lösen. Ich denke ja, aber vielleicht war es alles zu viel, vielleicht hat er irgendwann aufgegeben. Man weiß es nicht. Wenn ich die teuren Autos im Zentrum sehe denke ich, dass andere es geschafft haben – aber auch das die reine Mutmaßung. Vielleicht sind das die Leute, die am Wiederaufbau verdient haben. Aber die schicken Frauen im Cafe Herbes & Onions haben mit Heros so wenig zu tun. Es liegen nur wenige Kilometer zwischen dem quirligen Stadtzentrum und der Barackensiedlung. Was macht er falsch, was machen sie richtig? Die alte Frage zur Existenz von Armut beantwortet sich hier nicht.

Ich muss die Tränen unterdrücken, so rührt mich diese Szene. Arman bietet uns trockenes Brot und etwas armenischen Käse an. Ich bin sicher: Es ist nichts anderes im Schlank, sonst hätte er es uns angeboten und der Teebeutel muss für 4 Tassen reichen.

Irgendwann ist die Batterie voll, unser Auto springt an und wir müssen uns verabschieden. Wir versuchen uns mit 20.000 Dram erkenntlich zu zeigen, das sind über 40 Euro und in Armenien ein Haufen Geld, sicher mehr als Heros in der Woche mit seinem klapprigen Taxi verdient und weniger, als wir pro Tag ausgeben in Armenien

 Heros weigert sich, das Geld anzunehmen, aber sein Sohn denkt einen Schritt weiter und steckt die Scheine dankbar ein. Vielleicht kauft er seinen Kindern etwas, die bei seiner Frau in Jerevan leben.

Für mich hat dieser sonnige Tag allen Glanz verloren. Ich weiß nicht, wie ich dem alten Mann und seinem tieftraurigen Sohn helfen kann. Ich kann nicht die ganze Welt retten. Ich kann aber auch nicht durch Gjurmi fahren und so tun, als wäre das Erdbeben 1988 nicht mehr als eine schaurig-schöne Erinnerung  und eine Notiz im Urlaubstagebuch.

Begegnungen wie diese stellen mir die Frage nach dem Sinn des Lebens aber sie beantworten mir nichts.

Ich bin ratlos. Ich habe seine Telefonnummer und werde versuchen, die Adresse zu bekommen. Und dann? Geld schicken?

Ich weiß es nicht. Ob ich besser nicht in den Norden Armeniens nach Gjumri gefahren wäre? Für mich gibt es da keine Alternative, denn unsere Wege sind vorgegeben, und für mein Unwohlsein kann Heros nichts. Er hat sich nicht aufgedrängt oder um Aufmerksamkeit gebeten. Das muss ich mit mir selbst ausmachen.

Jerevan – Der taubenmann

Man kann nie sagen, wie alt diese Leute sind. Hätten sie ein Gesicht, aus dem man einfache Geschichte lesen könnte, dann wären sie nicht so auffallend. Der Mann sitzt auf einer Bank im Park vor den Jeriwaner Kaskaden und überrascht mich. Er bettelt nicht, auch wenn man ihm ansieht, dass er Geld braucht.

In seiner verschlissenen Armee-Hose und seinem kurz geschnittenen Parka hat er sich eine gewisse Lässigkeit bewahrt. Sein geschmeidiger Gang passt nicht zum verknitterten Gesicht und zur gebückten Haltung. Blaue Augen schauen frech unter dem Schild seiner Kappe hervor.

Er zerbröselt Brot, das er aus den Tiefen seines alten Adidas-Rucksack kamt und wirft es aus eine Art um sich, aus der augenscheinlich nicht die Liebe zu Vögeln spricht. Fahrradfahrer und asiatische Touristen, die unvorsichtiger Weise in den Wurfkreis seiner Brösel kommen, werden übel angeraunzt. Und wieder wirft er sein Brot in die Menge der immer zahlreicher heranfliegenden Tauben.

Warum machst du das? – würde ich ihn gerne fragen – könnte ich armenisch oder russisch –  ahne aber, dass  ich gleich den verdutzten Chinesen nur unfreundlich angemufft werden würde. Und wieder wirft er. Entweder ist er verrückt oder er verfolgt einen Plan. Dann plötzlich bückt er sich langsam, so als wollte er etwas aufheben – und mit sicherem Griff hat er eine Taube in der Hand. Der Vogel wird sorgfältig geprüft, er zupft ein Paar Federn aus und begutachtet seine Beute mit Kennerblick aus allen Richtungen. Dann verschwindet die Taube in einem Seitenfach seines Rucksackes.

Wieder kramt er Brot heraus und verteilt es reichlich, wieder bückt er sich, greift mit einer Hand die nächste Taube. Er macht das völlig unspektakulär. Wie viele da schon in seinem Rucksack stecken? – keine Ahnung. Mich interessiert auch vielmehr die Frage, was er damit macht. Ob er sie zum Abendbrot auf den Grill wirft um den gröbsten Hunger zu stillen, um endlich mal Fleisch zu essen, weil die Rente dafür nicht reicht? Ich seh‘ ihn schon sitzen und an den mageren Viechern nagen, die er über einem kleinen Müllfeuer in einem dreckigen Hinterhof brät. Wie arm doch die Leute hier sind in Armenien und ein wohliger Schauer läuft mir über den Touristenrücken.

Oder ist es ganz anders?

Der Mann lässt mich nicht los, auch als er schon lang aufgestanden und in einem Minibus losgefahren ist. Als wir am nächsten Kloster halt machen, staune ich über ein interessantes Geschäftsmodell: Hier stehen Leute herum, die Tauben verkaufen. Die kann man dann fliegen lassen und sich was wünschen. Brautleute kaufen Tauben käfigweise. Woher die ganzen Tauben kommen? Wahrscheinlich vom Jeriwaner Taubenmann, der damit seinen Lebensunterhalt verdient und ansonsten Vegetarier ist, und abends gerne schmalzige Soaps am Fernseher ansieht.