Wir stehen immer noch auf dem Platz bei Michelsberg, orientieren uns aber jetzt in Richtung auf unser neues Abenteuer: Die Karparten. Wir wandern über die sanften Hügel und finden überall die intensiven Spuren der Bewirtschaftung durch Schafhaltung. Es ist etwas Vorsicht geboten, denn die Hunde der Schäfer sind gefährlich und würden mit unserem Michel kurzen Prozess machen.
Auf unserem Weg kommen wir an einem Honig produzierenden Betrieb vorbei und der junge Besitzer drückt uns Gläser seines Honigs in die Hand. Es ist unglaublich und wir schämen uns dafür, wie wir Rumänen in Deutschland behandeln würden. Man muss sich das vorstellen: Diese Leute sind als Deutsche zu uns gekommen und wirklich nicht immer gut behandelt worden.
Wir treffen eine “echte” sächsische Familie und bitten sie, für uns ihre Sprache zu sprechen. Es ist völlig fremd und wir verstehen kein Wort. Deutsch sprechen die Sachsen perfekt und haben es in der Schule und im Elternhaus gelernt. Sie fühlen sich deutsch – wie ich – und ich fühle mich mies, dass ich das 58 Jahre lang nicht gewusst habe, dass ich hier Landsleute habe. Ich weiß so wenig über diese Welt. Ich frage den Bauern wie es ihm hier so geht und es kommt als Antwort das hier so typische Achselzucken: “Früher hat es hier eine Teppichfabrik gegeben mit 7500 Arbeitsplätzen, heute gibt es nichts mehr!” Ich mag nicht über den Preis der Freiheit reden, spüre aber, dass ihn das alles bedrückt – dass fast alle Sachsen weggezogen sind 1990, fort nach Deutschland, und keiner kommt zurück. Er versteht nicht, warum er nicht die gleichen Subventionen erhält wie deutsche Landwirte und auch nicht, dass ihn damals niemand vom Bahnhof abgeholt hat, als er als Erntehelfer kam und seine Koffer drei Kilometer bis zu seiner Unterkunft schleppen musste.
Im Zigeunerdorf ein paar Kilometer entfernt leben die Roma ihr Leben. Die Lokal-Politiker setzen sich dafür ein, dass sie das ungestört und entsprechend ihrer Traditionen machen können, denn am Wahltag organisieren die Familienchefs den gemeinsamen Gang zur Wahlurne. Viele Politiker in ländlichen Gegenden sichern sich mit der Gunst der fleißig wählenden Roma ihre politische Position. Auch das ist Rumänien
Wir schauen uns abends den Film “Dem Himmel so nah” über die letzten siebenbürger Schäfer an. Es berührt mich tief und ich frage mich, “Wo verorte ich das Glück?” und auch wie ich es schaffen kann, diesen Menschen hier zu sagen, dass sie reich beschenkt sind.
Ich bin so glücklich über diese Reise und darüber, was es mit mir macht, dass ich weinen könnte.
Der erste Monat ist um und hier einiges zur Statistik: Wir sind bei einem Tagesbudget von 45 Euro gelandet inkl. Diesel. Das ist gut, aber ich denke, dass wir das nicht halten können, wenn wir die Campingplätze bezahlen müssen. Bislang haben wir von 30 Übernachtungen nur 4 bezahlen müssen. Andererseits werden wir nicht noch einmal 2500 Kilometer in einem Monat fahren. Der maximale Tagessatz von 50 Euro ist gesetzt. In Summe ist das deutlich weniger, als mich das Haus in Deutschland gekostet hätte. Auf der negativen Seite bislang: Ich bin von einem Hund gebissen worden, Michel gleich zweimal und Sylvia von einer Zecke. Die Grippe haben wir beide gut überstanden.
Wir haben noch nichts verloren. Eine defekte Schublade konnte ich mit Leim wieder reparieren. Die Wohnkabine ist ohne jede Kritik und ist für diese Art Reise optimal. Beim Ranger macht mir der Adblue-Verbrauch etwas zu schaffen, beim Diesel liegt er konstant bei 12 Litern, egal was ich mache. Die Arbeit klappt gut, die 30 Gigabyte-Karte von Vodafone hat 4,90 Euro gekostet und hält schon 14 Tage. In Bulgarien werde ich wieder die insgesamt 4 Gigabyte nutzen können, die wir über unsere Handy-Verträge beziehen.
Es ist Freitag und wir haben für die 150 km nach Bran gut 4 Stunden gebraucht – das ist ein guter Schnitt. Wer so zügig unterwegs sein will, muss eine elektronische Vignette kaufen (6 Euro/Woche), um Schnellstraßen und Autobahnen nutzen zu können.
Am Schloss Bram wird mächtig auf Dracula gemacht, sogar das Bier wird blutrot eingefärbt und der Trubel errinnert mich an den Hexentanzplatz im Harz. Auf dem Campingplatz haben wir ein Pärchen aus Bukarest getroffen, die uns spontan einen Stellplatz in der Innenstadt angeboten haben. Wir werden am samstag die Hauptstadt Rumäniens ansehen. Die Tochter unserer Campingplatznachbarn studiert Ozeanologie in Hamburg, spricht perfekt Deutsch und schickt uns stündlich per Whatsapp Updates zu den Sehenswürdigkeiten. Wir sind sehr gespannt und gehen jetzt erstmal zur Schlossbesichtigung.
Der Gang durch das sehr gut erhaltene Schloss hat sich ganz gegen meine Erwartung zu einer sehr inspirierende Erfahrung entwickelt. Man kann das schlecht erklären, aber der Geist der Leute, die hier mal gelebt haben, ist noch spürbar. Das ist alles noch sehr viel zum Anfassen und die komplette Anlage wird mit sehr viel Fingerspitzengefühl instand gehalten. Authentizität bedeutet, Geschichte nicht zu verfälschen und sieht man mal vom missglückten Versuch ab, Dracula hier zu verorten, funktioniert das prima.
Am Abend kommt unsere Campingplatznachbarin Lena zu uns in den Camper und ich freue mich wieder mal wahnsinnig über ein tolles Gespräch. Das Schöne am Reisen ist, dass man solche Leute trifft. Die junge Aussteigerin (sorry Lena, aber das musste jetzt sein 😉 ) reist mit ihrem Freund durch Rumänien und erzählt uns von ihrem Leben in der Schweiz, wo sie in einem Bauwagen ein recht unkonventionelles Leben führt. Sie räumt tüchtig mit dem landläufigen Bild auf, dass wir gern von Schweizern haben.
Die jungen Leute reisen auch, um Antworten zu finden. Eigentlich wie wir, nur aus einer ganz anderen Perspektive: Sie haben das Leben noch vor sich und stehen vor wichtigen Entscheidungen – wir haben es fast hinter uns und fragen uns, ob wir die richtigen Entscheidungen getroffen haben. Uns eint eine spürbare Seelenverwandschaft im Bemühen, uns nicht einreihen zulassen und ich neide ihnen nur ein bisschen ihre Jugend und was sie schon alles erlebt haben.
Nun zu profaneren Dingen: Zum Glück funktioniert die Heizung wieder, die Nächte sind doch noch ziemlich kalt und der Haussegen hängt schnell schief wegen sowas. Die Alde-Heizung hatte von einem Moment auf den anderen den Betrieb aufgegeben . Mit den nötigen Hilfestellungen durch Adam Lentner vom Wohnkabinencenter geht’s wieder.
Wir verabschieden uns von Lena und Cyrill und auch von Uli und ihrem Mann, die wir zuletzt in Hermannstadt getroffen hatten. Lenas Freund sieht nicht gut aus, er hatte die Polen rechts neben ihm nur nach einem Grill fragen wollen und war dann bei Bier und Schnaps hängengeblieben.
Uli und Volker kamen spät in der Nacht auf dem Weg vom Donaudelta zufällig hier vorbei. Sie schwärmen uns vor vom Delta, aber wir müssen Prioritäten setzen und endlich in den Süden kommen. Bukarest ist schon ein Umweg – aber wer weiß, ob wir hier so schnell wieder vorbeikommen.
Auf dem City-Campingplatz stehen wir keine 5 Minuten und finden mit Jean einen supernetten Franzosen, der sich mit uns das Taxi ins Zentrum teilen will. Seit wir los sind werden wir von Menschen getragen die uns ein Stück begleiten, uns beeindrucken und prägen und dann wahrscheinlich auf ewig wieder verschwinden.
Die Zuverlässigkeit, mit der wir solche Leute finden ist immer wieder eine wunderbare Erfahrung. Wir waren früher oft unterwegs, aber dass wir mit so einer traumwandlerisch sicheren Wahrscheinlichkeit Menschen treffen, die uns an die Hand nehmen, oder die wir an die Hand nehmen ist eine völlig unerwartete Facette dieser Reise.
Wir hatten zu Beginn Angst davor, Langeweile zu bekommen, oder die Zwei/Einsamkeit nicht ertragen zu können.
Bukarest: Gut, dass wir das nicht verpasst haben! Was für eine tolle und inspirierende Stadt, die so gar nichts mit Budapest oder Wien zu tun hat. Der Touristenanteil ist unter 1 Prozent und die Leute hier leben ein von südländischem Flair und östlichen Einflüssen bestimmtes Leben.
Unsere Fremdenführerin Maria zeigt uns ihr Bukarest. Z.B. einen extrem stylischen Bücherladen oder ein frisch restauriertes Upper-Class-Restaurant in historischem Ambiente. Die Stadt gibt wirklich alles, um sich Besuchern als urbanes Zentrum eines liebenswürdigen Landes zu präsentieren.
In Bukarest spürt man nichts von der Armut des Landes und es ist seit langer Zeit das erste Mal, dass mir eine Stadt dieser Größenordnung wirklich sehr gut gefällt. Vielleicht auch, weil hier der Müllwahnsinn des Landes etwas geordneter erscheint. Wer sich in Deutschland über achtlos weggeworfene Cola-Dosen aufregt, der sollte Rumänien als Urlaubsland meiden.
Die 2,5 Millionen Einwohner merkt man der Stadt nicht an, zumal man mit 6 Euro mit dem Taxi fast von einem Ende bis ans andere fahren kann. Apropos Taxi: Die Taxifahrer hier fahren nicht, sie fliegen. Ich bin niemals mit solchen Geschwindigkeiten durch zweispurige Kreisverkehre geschossen wie hier.
Wir bedanken und bei Maria für die sympathische Stadtführung. Morgen gibt es einen Arbeitstag und Sylvia will zum Gottesdienst einer ev. Gemeinde fahren. Auf dem Campingplatz frischt Familie Micaud aus Frankreich unsere Französischkenntnisse wieder auf.
Wir reden über deutsche Schäferhunde und Michel hat gehörig Respekt vor Easy.
Ich weiß nicht, wo das all die Jahre gesteckt hat, bzw. wo Frau Wienand all die Vokabeln in meinem Hirn vergraben hat, aber wenn man muss, dann geht es irgendwann und wir unterhalten uns prächtig.
Am Abend sitzen wir mit Steven und Jane aus Südengland zusammen. Er ist Schreiner und baut Weidenzäune und Tore, sie hat bei der Heilsarmee gearbeitet. Wahnsinnig interessant – nicht nur zum Thema Brexit. Steve ist politisch mindestens so “Grün” wie ich und es scheint uns unvorstellbar, dass “sein” Land die EU verlassen wird. Wozu? Warum? Wir sind Europäer.
Am Montag geht es denn endgültig Richtung Bulgarien.
Hallo schmalli
Habe Deinen Blog gelesen weiter so